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STAY IN TOUCH 12

Stay in touch ist eine Kollaboration der Kunstuniversität Linz, Abteilung Kulturwissenschaft mit dem Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK), der Zeitschrift für Kulturwissenschaften, dem ilinx-Magazin und weiteren Partnerinstitutionen. Es wird eine Bibliothek von Texten zusammengestellt, die dabei unterstützen, einen solidarischen und informierten Umgang mit der Pandemie zu finden. Es werden klassische und aktuelle Texte aus 2500 Jahren kommentiert und zur Verfügung gestellt. stay-in-touch.org
Diese Woche:

2016 – »Sympoiesis ist ein einfaches Wort. Es heißt ›mit-machen‹. Nichts macht sich selbst, nichts ist wirklich autopoietisch oder selbst-organisierend.«

Donna Haraways Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän wiedergelesen, Teil 2 von Katrin Solhdju Dritter Faden: Unruhig bleiben verfolgt die rensponsable Produktion von Positionen jenseits infernaler Alternativen beispielsweise entlang von Tauben. Taubengeschichten erlauben es Haraway, Gegensätze wie Freund und Feind, das Eigene und das Fremde ebenso zu hinterfragen, wie solche zwischen Antispeziesismus und Misshandlung von Tieren. Haraway berichtet von dem Projekt PigeonBlog, in dem Forscher-Künstler-IngenieurInnen gemeinsam mit ihren tierischen MitarbeiterInnen beinahe verlorengegangene Fähigkeiten von Tauben-Mensch-Verbindungen aus der Geschichte der Brieftaubenpraxis und des Taubensports wieder aufleben ließen. Mit Messgeräten ausgestattete Vögel halfen dabei, Luftverschmutzungskarten städtischer Regionen Los Angeles‘ zu registrieren und zu kartieren, die von den Behörden systematisch außen vor gelassen werden: »eine artenübergreifende Kunstaktion, die sich für alltägliche Welten einsetzt, die Erholung benötigen (und zu ihr fähig sind), quer zu vorhandenen Differenzen.« (34) Haraway erzählt davon, dass dieses Projekt beinahe schon vor seinem Beginn zu Fall gekommen wäre, weil TierrechtsverfechterInnen ihm vorwarfen die Tiere zu misshandeln. Dabei wird sehr deutlich, dass es keine unschuldige Position gibt, ganz gleich wie gut die Absichten sein mögen, sondern immer nur situierte Praktiken, die mehr oder weniger responsabel sind! Aber auch die Akteure selbst, menschlich oder nicht-menschlich, lassen sich nie abschließend in entweder gut oder böse einordnen. Tauben machen das sehr deutlich: »Sie sind wertgeschätzte Familienmitglieder und verachtete PestbringerInnen, RetterInnen und Geschmähte, RechteinhaberInnen und Komponenten der Tier-Maschine, Nahrung und Nachbar, Zielobjekte für Ausrottung und für biotechnologische Züchtung und Vermehrung, Arbeits- und SpielpartnerInnen sowie TrägerInnen von Krankheiten, bekämpfte Subjekte und Objekte ›modernen Fortschritts‹ und ›rückwärtsgewandter Tradition‹.« (27) Immer kommt es darauf an, welche Taube, wie viele Tauben und eingespannt in welche ökologischen und interspezifischen Verhältnisse. Darin ähneln Tauben Menschen – die immer weiter zunehmende Bevölkerungsdichte ist ein präsentes Thema in Unruhig bleiben, dem Haraway mit dem Motto „Macht euch verwandt, nicht Babys« begegnet – ebenso wie Viren, die ihrerseits keineswegs eindeutig ins Reich der Feinde einzuordnen sind. In einem auf sie unvorbereiteten Milieu legen letztere mit ihren wilden Sprüngen von Wirt zu Wirt zerstörerische Effekte an den Tag. In anderen Zusammenhängen können sie aber therapeutische Funktionen haben, wenn sie etwa (gezielt) eingesetzt werden, um aggressive Bakterien unschädlich zu machen. Entweder-Oder Situationen gilt es mit Vorsicht zu genießen. In der aktuellen Situation kann es nicht darum gehen dem Krieg gegen das Virus eine romantisierende Feier der viralen In- bzw. Affektion entgegenzusetzen. Eines der vielstimmigen Motti, die Haraway in Unruhig bleiben an die Frau bringt, könnte uns hier vielleicht weiterhelfen eine dritte Position zu kultivieren. Bezüglich des von den Wertheim-Schwestern initiierten Korallenhäkelprojekts (Crochet Coral Reef), in dem tausende Frauen an ganz verschiedenen Orten und aus einer Vielfalt von Materialien häkelnd die ausbleichenden Korallenriffe explorieren, mit neuen Farbigkeiten versehen und so eine vital gewordene Form terrestrischer und mariner Aufmerksamkeit kultivieren, spricht Haraway von einer Sorge-Praxis der »Intimität ohne Nähe« (112). Bezeichnet dieser Ausdruck im Korallenzusammenhang die Etablierung eines tiefgehenden Bekannt- oder Verwandt-Machens der Akteurinnen mit den bedrohten Lebenswelten des Ozeans ohne sie zu berühren, scheint mir das Motto »Intimität ohne Nähe« intuitiv auch für den Corona-Zusammenhang fruchtbar und zwar in mindestens zweierlei Hinsicht: bezüglich unseres Verhältnisses zum Virus selbst und seinen potentiellen ›Trägerinnen‹, aber ebenso bezüglich neuer, erstaunlich intimer zwischenmenschlicher Verbindungen, die sich der Quarantäne zum Trotz vielerorts und in ganz unterschiedlichen Fassungen formiert haben. Vierter Faden: »Sympoiesis ist ein einfaches Wort. Es heißt ›mit-machen‹. Nichts macht sich selbst, nichts ist wirklich autopoietisch oder selbst-organisierend.« (85) Auch zeitgenössische Ansätze der Biologie spielen eine Rolle in Unruhig bleiben, insofern sie es Haraway erlauben, den durchaus denkbaren Vorwurf einer allzu imaginativ-fabulativen Herangehensweise von sich zu weisen. Selbst Biologin bezieht Haraway sich dabei auf die Holobionten-Theorie von Lynn Margulis und auf die Arbeiten ihre früheren Studenten Scott Gilbert und seiner Kollegen. 2012 publizierte Gilbert gemeinsam mit Jan Sapp und Alfred Tauber im The Quaterly Review of Biology einen Artikel, der die biologischen Begriffe von Individualität befragt den provokativen Untertitel We have never been individuals trägt. Programmatisch treten die Forscher hier gegen das Paradigma der Selbstorganisation in der Biologie an indem sie kooperative Prozesse betonen. Die Attraktivität dieser Art biologischer Sym-Forschungen besteht nicht nur darin, dass sie die Wirklichkeit genauer wiedergeben, sondern auch darin, dass sie es ermöglichen moralische und politische Fragen unserer Zeit neu zu perspektiveren. Haraway und diese biologischen Ansätze treibt eine gemeinsame Intuition um: Dass unsere politische und ökologische Lage es nämlich mehr als dringlich erfordert, neue Aufmerksamkeiten für Inter-relationen, inter-spezifische Zusammenhänge und multiple Abhängigkeitsverhältnisse, aber auch eine Sensibilität für Extinktion, das Verschwinden von Arten sowie Formen des Erinnerns an sie in den Vordergrund zu rücken und zu dramatisieren. Mit Haraway gesprochen ist ein sym-anima-genetisches Umdenken notwendig, wenn wir hoffen können wollen, diese Erde noch eine Weile lang zu bewohnen. Ob man sich als geschlossenen, autopoetischen Organismus begreift, oder aber die eigene Lebendigkeit als von einem sympoietisches oder mehr noch sym-anima-genetisches Fadengewirr in der Existenz gehalten weiß, ändert alles: vor allen Dingen aber das, wofür man wortwörtlich ver-antwortlich ist. Sensibel zu werden für Verbindungen, für das, was wir beerben und was wir weitergeben, wovon wir affiziert sind und was wir unsererseits biologisch und anderweitig beeinflussen, ist für Haraway die wichtigste Kunst, die es heute zu pflegen gilt. Eine radikal situierte Kunst, die nicht darauf abzielt, alles mit allem anderen zu verbinden, sondern Nischen zu bauen, die von bestimmten Symbionten oder sympoietischen Gebilden bewohnt werden, die es gemeinsam schaffen könnten, das Leben der anderen lebenswert zu machen. Haraway feiert den wechselseitigen Austausch von Körperflüssigkeiten, Viren, Bakterien und Affekten gleichermaßen; eine Feier die im letzten Kapitel, den science-fictionhaften »Camille Stories« kulminiert, in denen sie – ausgehend von der dramatischen Menge an Arten an Rand des Verschwindens – eine künftige Welt imaginiert, in der jedes Kind mindestens drei menschliche Eltern und einen nicht-menschlichen Symbionten erhält. Der Symbiont ist ein existentieller Teil des Menschenlebens und für dessen Wohlergehen hat er/sie Sorge zu tragen. Auch hier ist das Zusammenleben keineswegs spannungsfrei, sondern oft riskant; und zwar für alle Beteiligten – Haraway hat keinen Hang zur Romantik. In Corona-Zeiten kann man nicht umhin, wie ein verirrter Mondreisender merkwürdig über die Bürgersteige zu tänzeln um seinen Mitmenschen – potentiellen Infektionsherden – möglichst elegant und doch zwangsläufig grobschlächtig auszuweichen. Da hilft es auch nicht weiter, dass immer mehr Gesichter von allen möglichen Masken verdeckt sind. Man würde Haraway aber falsch verstehen, wenn man aus ihrer Vorliebe für Symbiontische die Konsequenz ziehen würde, dass man die konkreten Dinge einfach in Kauf nehmen und sich und andere im Namen irgendeiner ebenso abstrakten Liebe zum Austausch mit allen Lebewesen – Viren eingeschlossen – dem Risiko aussetzen sollte, koste es was es wolle. Nein, und darin bezieht Haraway sich in Unruhig bleiben ausdrücklich und wiederholt auf Isabelle Stengers pragmatistisches Denken. Es geht darum, »dass Entscheidungen auf irgendeine Art und Weise in Anwesenheit derer getroffen werden müssen, die die Konsequenzen tragen werden.« (23) Unruhig bleiben lässt sich allerdings nicht bewerkstelligen indem man einer ausschließlich virologischen und epidemiologischen Logik folgt und sich damit vermeintlich in einer Position des Bescheidwissens und damit zugleich größtmöglicher Unschuld wägt. Der Preis der sozialen Vereinzelung/Distanzierung etwa kann nur situiert, von Fall zu Fall und unter Einbeziehung all jener Parameter eingeschätzt werden, die für die je Betroffenen existentiell von Bedeutung sind. Man denke nur an die direkt pandemisch bedingten Dramen aber auch an die mehr als tristen sozial-psychologischen Nebenwirkungen der sanitären Maßnahmen in Alters- und Pflegeheimen seit Ausbruch der Krise. Das gibt doch sehr zu denken bezüglich der Kriterien für die je zu treffenden Beschränkungen. Bereits in ihrem viel älteren Text zur »Biopolitk postmoderner Körper« schrieb Donna Haraway vor dem Hintergrund der freilich anders gestrickten AIDS-Krise sehr eindrücklich: »Leben ist ein Fenster der Verwundbarkeit: es zu schließen, wäre ein Fehler. Die Vollendung eines völlig verteidigten ›siegreichen‹ Selbst ist eine schauerhafte Phantasie, die phygozytierende Amöben und mondreisene Männer zu einer die Erde verschlingenden evolutionären Teleologie eines postapokalyptischen Extraterrestrialismus vereint. Diese Phantasie ist schauderhaft, egal ob sie in den abstrakten Räumen des nationalen Diskurses oder in den gleichermaßen abstrakten Räumen unseres Körperinneren angesiedelt ist.« (Die Neuerfindung der Natur 191) Aktueller geht es kaum. books.google.at/donna_haraway Donna J. Haraway: Unruhig bleiben: Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, Campus: Frankfurt a. M. 2018.