zum Inhalt
WORKSHOP

Der »postsowjetische Raum«

Einführung: 9. April 2019, 11.00 Uhr; 14. und 15. Mai 2019 Kunstuniversität Linz, Domgasse 1, Großer Seminarraum, Raum 2.16

jeweils ab 11.00 Uhr / Mittagspause / Fortsetzung 13.00 bis 14.00 Uhr

Aspekte der postsowjetischen Gesellschaft und Kunst nach dem Ende der Sowjetunion

Der »postsowjetische Raum« umfasst das Territorium der ehemaligen Sowjetunion, aus der bei ihrer Auflösung 15 neue Staaten inklusive der Russischen Föderation hervorgingen. Mit Ausnahme der drei baltischen Staaten wurden alle Mitglieder der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). In Russlands Beziehungen zu den neuen Staaten war lange nicht klar, ob die GUS als Vorstufe zu einer Reintegration in ein neues russozentrisches Imperium oder eher als Instrument einer »zivilisierten Scheidung« konzipiert war. Die postsowjetischen Länder haben in den fast 30 Jahren unterschiedliche Entwicklungen genommen, die nicht linear verlaufen sind. Der (ehemalige) Hegemon Russland spielt aber noch immer eine Rolle, sei es verdeckt oder offen, angstbesetzt oder kooperativ. Jedenfalls differenzieren sich die Darstellungen nach ökonomisch-historischen Spezifika einzelner Länder und nach unterschiedlichen Sprachen, Schriften und Zugangsweisen. Der Kommunismus war lange Zeit nur eine Utopie. Diese Vision hat eine große Geschichte (von Platon über Thomas Morus bis hin zum utopischen Sozialismus des 19 Jahrhunderts und den heute versuchten Modellen von Soziokratie als Antwort auf den wildgewordenen Kapitalismus. Die Frage nach der Realisierbarkeit der Vision blieb während dieser langen Geschichte offen. Die kommunistische Utopie lag allein in der Zukunft. Heute scheint der Kommunismus Vergangenheit. Die Kritik am realen Sozialismus sowjetischer Prägung hielt ihm „Verrat am kommunistischen Ideal“ vor, Er sei eine totalitäre Diktatur gewesen, die als eine Parodie des Kommunismus und nicht als seine wahre Realisierung stattfand. Der russische Philosoph Boris Groys sagte dazu einmal, jede Realisierung sei ein Verrat am Ideal. Die Länder des realen Sozialismus haben von sich aus niemals den Anspruch erhoben den Kommunismus zu verwirklichen, sondern sie haben sich selbst lediglich als Übergangsformen auf einem sehr langen Weg zum Kommunismus begriffen. Um ein Verständnis für Politik und Kultur in den postkommunistischen Ländern zu erhalten ist es wichtig, in einem Zeitraffer Blicke auf die Ideale der Oktoberrevolution, die Utopien der Russischen Avantgarde sowie die Hoffnung der Verwirklichung einer idealen Gesellschaft mit einem Neuen Menschen, neuer Architektur und Städtebau im Zentrum zu werfen – aber auch auf deren Perversion in der Diktatur der Stalinjahre und den neuen Aufbruch in den späten 1950er Jahren, der durch den bürokratischen Überwachungsstaat unter Leonid Breschnew ein Ende fand. Die Sowjetunion hatte sich selbst damals als multinationales, mithin auch als multikulturelles Konstrukt verstanden, obwohl die Realität oft der eines von Moskau aus gelenkten kolonialen Imperiums glich. Seit Gorbatschows Politik der Glasnost und Perestroika Mitte der 1980er Jahre gab es große Hoffnung auf demokratische Strukturen, kulturelles Leben frei von jeglicher Einflussnahme, – eine Hoffnung, die auch nach dem Zerfall der Sowjetunion 1992 in den Jahren während des Chaos der Transformation andauerte. Zentrale sowjetische Topoi wurden in den letzten 30 Jahren in der postsowjetischen Kunst hinterfragt, es wurde mit ihnen gespielt, sie wurden überzeichnet, überhöht, zerstört und wieder in neue Zusammenhänge überführt. Es ist eine kulturelle Landschaft entstanden, die teilweise länderspezifische Charakteristika entwickelt hat, parallele Strukturen erkennen lässt, auch westliche Zugangsweisen aufgegriffen hat, und diese in Zusammenhänge überführt, die oftmals andere Bedeutungen hervorriefen. Dennoch ist der Nachhall der Sowjetepoche noch in allen Nachfolgestaaten der UdSSR spürbar. Dessen Aufarbeitung sowie die der radikalen neoliberalen und oft nationalistischen Transformation der Staaten und Gesellschaften in den letzten drei Jahrzehnten stehen im Zentrum vieler Arbeiten von mittlerweile drei Generationen von GegenwartskünstlerInnen. Radikalität und Ambivalenzen zeichnen viele Arbeiten der neueren Zeit aus, von denen einige im Seminar vorgestellt und diskutiert werden. Hedwig Saxenhuber
Hedwig Saxenhuber lebt in Wien und ist Kuratorin und Mitherausgeberin von springerin Hefte für Gegenwartskunst.
Über oder im postsowjetischen Raum wurden unter anderem folgende Ausstellungsprojekte realisiert:
2003 Adieu Parajanov (Armenien) Kunsthalle Wien; 2006 Postorange (Ukraine), Kunsthalle Wien;  2007 Valie Export im NCCA Moskau Biennale;  2008 Gyumri Biennale;  2015 Kyiv Biennale in Kyiv, Karlsruhe, Leipzig und Wien.
2006 Lektorin an der Sommerakademie in Eriwan, 2007 Workshop in Bishkek,
2016 The Empire Strikes Back A traveling academy through the post-Soviet cityscape (Kiew, Minsk, Chisinau, Moskau, Eriwan, Tiflis).

© Dimitrij Zadorin (Chisinau)

© Sasha Burlaka (Mezamor, Armenien)

© Dimitrij Zadorin (Moskau)