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Temporary Museum of modern Marx

Studierende der Kunstuniversität Linz, der Angewandten Kunst Schneeberg und der FH Merseburg
Studienjahr 2007/08, Ausstellungszeitraum: 17.06. - 31.08.2008
raum&designstrategien

Der Marxkopf konnte durch die „Einhausung“ mit zwei mit transluzenten Planen bespannten Kuben aus seinem historisch aufgeladenen Umfeld gehoben und durch die mögliche Begehung im Innenraum neu erfahren werden. Dadurch wurde intensive Auseinandersetzung mit dem Philosophen und interpretativer Spielraum durch die wählbare Betrachtungsperspektive möglich.

Der Anlass für das Projekt „TMomM“ war die ursprünglich im Frühjahr 2007 geplante Ausleihe der Karl Marx Plastik an die „Skulpturprojekte Münster 07“. Wie auch bei anderen vorangegangenen Aktionen rund um dieses Denkmal offenbarte sich ein erstaunlich breites Spektrum an Meinungen über dessen Daseinsberechtigung. In diesem kontroversen Spannungsfeld sahen wir es als Herausforderung an, nachzufragen, was denn der Grund für eine solche, teilweise überhitzte Debatte sei.
Uns stellte sich die Frage, welche Rolle darin eigentlich der Philosoph und Ökonom Karl Marx spielt und wie seine Präsenz als monumentale Plastik im Stadtraum von Chemnitz bewertet wird. Ist sein Abbild nur ein beeindruckendes Wahrzeichen für die Stadt, gleich einem Maskottchen? Sollte das Denkmal damit nicht gänzlich entfernt werden? Ist Karl Marx nicht ein unverzichtbarer Bestandteil von Chemnitz? Welchen Stellenwert haben seine Schriften? Wie lesen wir ihn heute?
Mit dem Ziel, Antworten auf diese Fragen zu finden, entwickelten wir in einem ersten Teil unseres Projektes die „Kapitalsammelstelle“, um mit den Chemnitzern über die Situation ins Gespräch zu kommen. Im Juli 2007 gab es damit die Möglichkeit, die Werke von Marx in die Hand zu nehmen, um sie sich wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Ausgehend von der intensiven Beschäftigung mit dem Thema vor Ort und der Wirkung des Denkmals im Stadtraum, sahen wir es als aussagekräftige Möglichkeit an, das Monument temporär von seinem Umfeld zu isolieren. Zu diesem Zweck planten wir eine zeitlich begrenzte Einhausung des Marx-Kopfes mit einem Kubus. Dieser umfasste die Plastik vollständig und blendete ihre gewohnte Umgebung aus. Die Entkontextualisierung der Plastik aus ihrem städtebaulichen Umfeld ermöglichte eine andere Sichtweise auf Marx. Gleichzeitig schuf die Einhausung des Kopfes die Konzentration auf Karl Marx und seine Gedankenwelt. 
Im Inneren der Installation gelangte man über Treppen näher an den Kopf heran. Auf einem Podest konnte man Marx in Augenhöhe begegnen, und sich mit seinen Schriften anhand der gesammelten Marxbände und als Hörbuch zu beschäftigen. Des Weiteren bot sich die Gelegenheit, auf die Oberseite des Kubus empor zu steigen und Chemnitz aus einer ungewohnten Perspektive neu zu betrachten.
Mit der Extrahierung der Person Karl Marx aus seinem stark ideologisch aufgeladenen Kontext und der Möglichkeit der inhaltlichen Annäherung an seine Gedanken wurde Platz für eine Auseinandersetzung geschaffen. Diese fokussierte Betrachtungsmöglichkeit erlaubte eine Neubewertung des Menschen und letztlich auch des Denkmals.

Audiomarx
„Marx und seine aktuelle Wahrnehmbarkeit in Chemnitz haben enorme Reibungsenergien freigesetzt. Der Mann ist nicht ausgestanden. Wer ist er eigentlich? Was kann er hier in Chemnitz sein?“ Die Installation knüpft am Hauptanliegen der Initiatoren des Kunstprojektes „Temporary Museum of Modern Marx“ an. In den drei Monaten Ausstellungsdauer wurde die bestehende Diskussion um Karl Marx, sein Denkmal sowie dessen Umbauung in Chemnitz aufgezeichnet. In der grauen Tonaufzeichnungsbox, in welche man eintrat, um sein Kommentar selbstständig und in Ruhe aufzunehmen, hatten die Besucher des Museums die Möglichkeit, sich am Projekt zu beteiligen. Das Ergebnis der so gewonnenen Aussagen bildet ein Audioarchiv der Reaktionen über Karl Marx, sein Monument in Chemnitz und dem „Temporary Museum of Modern Marx“. Hier geht die Installation über ein konventionelles Gästebuch hinaus und archiviert in dieser Form Gesagtes als Zeitdokument in Tonformat. Entstanden ist diese Form der Meinungsdokumentation, um das bewusst provozierte Anliegen der Initiatoren des Kunstprojektes „Temporary Museum of Modern Marx“ nochmal konkret werden zu lassen: Durch das aus dem Chemnitzer Stadtbild extrahierte und neu installierte Monument sollte zur Auseinandersetzung mit Karl Marx, seinem Denken und schließlich seiner Präsenz in Chemnitz angeregt werden. Dies fand im „audiomarx“ seinen hörbaren Niederschlag. Das akustische Ergebnis von ca. 10.000 Besuchern, welche in den drei Monaten Ausstellungsdauer 1891 Audiodateien hinterließen, ist hier in aufbereiteter Form mit einer Gesamtlaufzeit von 01:33:09 h zum ersten Mal zu hören. Eine Aufbereitung meint hier das Auswählen und Kombinieren von Kommentaren, das Ausfiltern von nicht gelungenen Aufnahmen und einer Angleichung der Lautstärkeverhältnisse. Alle Kommentare werden zeitlich von Lautsprecher 1 (erster Eintrag) bis Lautsprecher 4 (letzter Eintrag) unverändert im Raum aneinandergefügt. Im weiteren Verlauf soll das Archiv unter dem Motto „Wir gehen und eure Meinung bleibt“ den Chemnitzern zurückgegeben werden. Die Aufzeichnungen und Zusammenschnitte erheben keinen Anspruch auf ein repräsentatives Ergebnis, da denjenigen, welche das Museum nicht besuchten, die Möglichkeit verwehrt blieb, Ihre Meinung zu äußern (Ronald Reichelt).

Zeitraum
Projektierung: Studienjahr 2007/8, Ausstellungszeitraum: 17.06.-31.08.08

Projektpartner
Die Studienrichtung raum&designstrategien wurde von der Neuen Sächsischen Galerie Chemnitz zu diesem Projekt im Rahmen eines großangelegten Projekts aller deutschen Kunstvereine, genannt CROSSKICK, eingeladen. CROSSKICK organisiert intereuropäische Zusammenarbeiten mit Hochschulen in Europa.

Teilnehmer
Idee und Ausführung: Stefan Hofer, Helene Schoißengeyr (Kunstuniversität Linz, raum&designstrategien) Anna Hemme, Michael Hensel, Friederike Hofmann, Anna Weinberg und Andreas Will (Angewandte Kunst Schneeberg, Diplomstudiengang Fachrichtung: Holzgestaltung)
Audiomarx: Ronald Reichelt (FH Merseburg)