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VORTRAG

Claus Zittel "Denk-Stil und Seh-Stil"

16. Mai 2011, 18.15 Uhr Kollegiumgasse 2, großer Seminarraum

Univ. Prof. Dr. Claus Zittel: "Denk-Stil und Seh-Stil. Ludwik Fleck und der Stilbegriff in den Naturwissenschaften und der Kunst"

Die kultursoziologische Wissenschaftstheorie des polnischen Mikrobiologen
Ludwik Fleck erlebt seit mehr als einem Jahrzehnt eine Renaissance, durch
die er aus dem langen Schatten Thomas Kuhns herausgetreten. Was Fleck für
die aktuelle Wissenschafts- und Kulturtheorie besonders attraktiv macht,
ist, daß bei ihm die kulturelle Einbettung von Wissenschaft nicht an diese
von außen herangetragen, sondern aus dem Herzen der Naturwissenschaft
selbst kommt. Dabei bedient sich Fleck eines Begriffs, der offensichtlich
der Kunstgeschichte entlehnt zu sein scheint, nämlich des Begriffs des
Denkstils.

Dieser Terminus ist mittlerweile weithin geläufig, obgleich er doch bei
näherer Betrachtung keineswegs selbstverständlich erscheint: wie kann
Denken einen Stil haben? Ist Denkstil gleichbedeutend mit Denkstruktur
oder Denkform? Gibt es individuelle oder kollektive Denkstile? Was
geschieht wenn man den Stilbegriff in die Epistemologie einführt? Können
Wissenschaften wie Künste nach Stilkriterien beurteilt werden? Zudem ist
der Terminus „Denkstil“ eine vergleichsweise junge Prägung, die sich so
noch nicht einmal bei Nietzsche finden lässt und die erst zu Beginn des
20. Jahrhunderts auftaucht.

Der Vortrag rekonstruiert die frühen Diskussionen um den Denkstilbegriff,
zeigt und diskutiert die verschiedenen Formen der Adaption des
kunstgeschichtlichen Stilbegriffs seitens anderer Disziplinen, um
schließlich Eigenart, Leistungen und Grenzen von Flecks Denkstilstheorie
gerade in ihrer Differenz zu kunst- und kulturwissenschaftlichen
Stilverständnissen herauszuarbeiten.