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TALLIN: ARCHIV DER REVOLUTIONEN

Felix Ganzer   
Entwurfsarbeit, WS 2014/15
Architektur | Urbanistik  In Estland (und dem restlichen Baltikum) war die Revolution eine „singende.“ Ende der 1980er Jahre formierte sich eine nationale Bewegung gegen die Okkupation der Sowjetunion. Mit dem Singen der verbotenen Nationalhymne sowie anderer traditioneller Lieder – die estnische Kultur wurde während der Fremdherrschaft im Verborgenen praktiziert und gepflegt – demonstrierten die EstInnen und Esten ihre Unabhängigkeit. Ebenso mit einer 600 Kilometer langen Menschenkette von Tallinn über Riga nach Vilnius, dem „Baltischen Weg“ (23. August 1989). Tallinn bildet somit den idealen Ort für ein Archiv der politischen Revolutionen. Geschützt und gesammelt werden soll das gesammelte Wissen über Revolutionen in einem Turm, einer Gebäudeform, die seit dem Mittelalter das Stadtbild von Tallinn prägen, Wehrtürme als Zeichen der Macht. In den letzten Jahren wuchs die Tallinner Skyline um Hochhausbauten. Das Archiv der (politschen) Revolutionen ist aber nicht im bestehenden Stadtgefüge, sondern etwas außerhalb auf einer Landzunge nördlich von Tallinn situiert. Von der Stadt aus sichtbar, ragt der Ziegelturm als Landmark aus dem umgebenden Wald heraus. Der Seeweg war für Tallinn in der Vergangenheit wichtig, vom Meer aus ist der Archivturm durch seine Alleinstellung als erstes sichtbar und soll so permanent an die (eigene) Revolution erinnern.
Der Zugang zu den Objekten des Archivs soll ein einfacher sein. So wird zwar hinter dicken Ziegelmauern gesammelt und (konservatorisch) geschützt, die Artefakte von Revolutionen aus allen Ländern dieser Welt, werden aber auf unterschiedliche Weise den BesucherInnen zur Verfügung gestellt. Massive Wandscheiben ziehen sich durch alle Geschoße und umschließen gemeinsam mit der Schließung, den Arbeitsräumen und untergeordneten Funktionen den Archivkern. In einem Rhythmus von sechs Monaten werden in den Wandscheiben ausgewählte Objekte aus dem Bestand zu einem thematischen Schwerpunkt gezeigt. Das Archiv gliedert sich von unten nach oben in drei Hauptbereiche: Objekte (Instrumente und Waffen der Revolution), Texte (Berichte/Literatur/Wissen/ Propaganda) sowie Film und Audio (Erzähltes, Informelles, Persönliches, Interviews von ZeitzeugInnen). Dabei spielt der Weg, das Ergehen des Gesammelten eine wichtige Rolle, nach oben hin löst sich die Materialität des Gesammelten auf, von „festen“ Gegenständen in den unteren Stockwerken hin zu akustischen Dokumenten, in den oberen Stockwerken, bis man schlussendlich auf der Dachterrasse ins Freie gelangt und am obersten Punkt des Turms sowohl in die Weite des Meeres als auch in das Landesinnere blicken kann. Die Diskussion ist die Basis der Revolution, so bildet ein über einen gesonderten Eingang zugängliches Forum im Keller das Fundament des Turms.Die Öffnungen in der Fassade (Sichtziegelwerk) entwickeln sich aus dem Inneren heraus. Wie ein Strichcode machen sie die Nutzungen der einzelnen Räume von außen ablesbar. Große Öffnungen von KünstlerInnenatelier, Vortagsraum oder Cafe wechseln einander mit kleineren Oberlichten der Arbeitsräume ab. Dieser Entwurf ist ein Ergebnis aus dem Entwurfsprojekt Unmögliche Archive - Architektur für ein fiktives Europa.
"TALLIN: ARCHIV DER REVOLUTIONEN" © Felix Ganzer, 2015